Bericht von Volker Dörken für "Westfalenpost"

 

In Libyen lässt Oberst Muammar al-Gaddafi seine Landsleute bombardieren, weil sie eine Abwendung vom Revolutionsrat fordern. In Ägypten und Tunesien werden Menschen verfolgt, weil sie sich für eine Demokratie ohne Korruption einsetzen. Das Mullah-Regime im Iran kann sich nur mit Folter und Hinrichtungen von politischen Gegnern an der Macht halten. Immer mehr Menschen flüchten vor dem Staatsterror in ihrem eigenen Land.

Wenn diese Flüchtlinge dann in deutschen Übergangsheimen landen, beginnt für sie nicht selten ein weiteres Kapitel von Diskriminierung, Ausgrenzung und Missachtung. „Ich möchte diesen Menschen, die am äußersten Rand unserer Gesellschaft stehen, eine Stimme geben“, so umreißt der Liedermacher Heinz Ratz kurz und treffend seine Beweggründe für die „Tour der 1000 Brücken“, die er am 6. Januar 2011 in München startete.

In enger Zusammenarbeit mit Pro Asyl und vielen Flüchtlingsräten in deutschen Städten will der „Radikalpoet“ - wie Heinz Ratz sich selber nennt – 7000 Kilometer mit dem Fahrrad kreuz und quer durch Deutschland zurücklegen. Dabei ist die Tour der 1000 Brücken die dritte Etappe eines „moralischen Triathlons“.

Um auf die Situation der Obdachlosen in Deutschland aufmerksam zu machen, ist der engagierte Sänger und Dichter bereits im Jahr 2008 960 Kilometer durch die Republik gelaufen. 850 Kilometer durch deutsche Flüsse schwimmen war 2009 angesagt, um eine konkrete Unterstützung „für die geschundene Natur“ einzufordern. Dabei sind Heinz Ratz und seine Gefährten nicht nur sportlich ambitioniert, sondern sie stellen sich auch immer wieder den Fragen der Bürger und laden allabendlich zu einem Konzert oder einem Kabarettabend ein. Sänger wie Hannes Wader, Konstantin Wecker oder Stoppok zählen dabei ebenso zu seinen Mitstreitern, wie die Kabarettisten Anka Zink, Gerburg Jahnke oder Jochen Malzheimer.

Dabei treibt Heinz Ratz immer wieder das Prinzip der Gastfreundschaft an: „Deutschland ist ein reiches Land. Wir sollten den Flüchtlingen und Notleidenden anderer Länder freundlich begegnen. Wir sollten sie mit Achtung und Mitgefühl empfangen, denn sie haben oft unvorstellbares Leid hinter sich.“ Wer vor Bomben, Folter und dem Verhungern fliehe, sei kein Verbrecher. Dürfe nicht eingesperrt werden in Baracken und Lagern.

Menschen, die voller Verzweiflung über unsere Grenzen mit der Hoffnung auf Hilfe gekommen sind, werden nicht selten wieder ausgewiesen – in ein Leben, dass in vielen Fällen zu Tod Prostitution oder Verelendung führt“, ergänzt Matthias Bug. Der 52-jährige Steinmetz aus dem Hunsrück hat sich der 1000-Brücken-Tour von Heinz Ratz angeschlossen: „Erst war es nur Neugier. Ich wollte Rad fahren. Aber irgendwie anders. Da bot sich die Tour von Heinz Ratz an“. Dabei konnte der Steinmetz am eigenen Leib erfahren, wie die Flüchtlinge in Deutschland leben, „wie wir mit diesen Menschen umgehen.“ Er nahm sich eine Auszeit. Seine Frau führte den mittelständischen Steinmetzbetrieb während seiner Abwesenheit weiter.

Nach fast drei Monaten hat sich bei dem Familienvater von vier Kindern ein großes Erschrecken breit gemacht. Die Verhärtung in der Gesellschaft sei sogar körperlich spürbar. Vor allem in Ostdeutschland und Bayern gebe es Unterkünfte, in denen bis zu dreihundert Flüchtlinge „schlimmer als in Gefängnissen zusammengepfercht sind“. Betreut von zwei Sozialarbeitern. Matthias Bug, der immer mal wieder von seiner 26-jährigen Tochter Julia begleitet wird, spricht von einem „kafkaesken System, das die Menschen in einer geistigen Gefangenschaft“ hält: „Wir signalisieren den Flüchtlingen sehr deutlich: 'Ihr seid hier nicht willkommen'.“

So dürften die Flüchtlinge, die oft eine gute Ausbildung mitbrächten, im ersten Jahr in Deutschland nicht arbeiten: „Sie leben bei freier Unterkunft von 193 Euro im Monat.“ 6,50 Euro streichen allerdings die Banken für die Verwaltung des Kontos ein. Bleiben 186,50 Euro. Das sind sechs Euro pro Tag für Kleidung, Essen, medizinische Versorgung, Fahrten zu den Behörden, Literatur etc. Trotzdem haben diese rund 40.000 Menschen nur einen „nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt, sind in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und leben in vielen Fällen weit ab von den Stadträndern in eingezäunten Baracken. Matthias Bug: „Da gibt es kein Privatleben mehr.“

Ich glaube trotzdem, dass wir in gastfreundliches Land sind“, lässt Heinz Ratz sich seine positive Grundeinstellung nicht verdrießen. Der Sohn einer peruanischen Indianerin und eines Deutschen weiß, wovon er spricht. 1968 in Peru geboren, führte ihn sein Lebenslauf mit 49 Umzügen und 16 Schulwechseln durch Peru, Spanien, Saudi-Arabien, Argentinien und Schottland. Dabei hat er immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die gegenseitige Hilfe, der Respekt und das Aufeinanderzugehen das Wichtigste im Leben ist: „Die Welt könnte ein Paradies sein – wenn wir es nur wollten. Ich möchte versuchen, einen Anfang zu machen. Und diesen Anfang beim Allerselbstverständlichsten zu suchen, das ich unabhängig von Kultur, Sprache, Hautfarbe und Religion kenne: bei der Gastfreundschaft.“